Barrierefreiheit im Berliner ÖPNV: Dann fahrt halt mit der Taxe
Die Beförderungsalternative Muva wird gut genutzt, aus Sicht des Senats möglicherweise zu gut. Zum Jahresende scheint für die Kleinbusse Schluss zu sein.

In einer der taz vorliegenden, noch unveröffentlichten Antwort auf eine parlamentarische Anfrage hat die Senatsverkehrsverwaltung angedeutet, dass es schon in einem halben Jahr vorbei sein dürfte mit den im Auftrag der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) fahrenden Kleinbussen. Dabei war deren Einsatzbereich gerade erst ausgeweitet worden, was offenbar auch gut angenommen wurde.
Muva ist ein Dienst, der 2022 dem längst verblichenen „Berlkönig“ nachfolgte. In einer ersten Phase ging es nur darum, mobilitätseingeschränkte Fahrgäste zum nächstgelegenen barrierefreien U- oder S-Bahnhof zu bringen, wenn am eigentlichen Einstiegshalt der Fahrstuhl nicht funktionierte.
Damit erfüllten der Senat und die BVG die im Mobilitätsgesetz enthaltene Pflicht, für Alternativen zu sorgen, wo das ÖPNV-Angebot noch – oder zeitweilig – nicht barrierefrei ist. Hinzu kam ein Service namens „Flexible Fahrt“, der in „unterversorgten“ Gebieten im Osten der Stadt angefordert werden konnte.
Stadtweite Alternative
Die „Flexible Fahrt“ ist Geschichte, aber seit März dieses Jahres sind die 40 Muva-Vans, die allesamt auch Menschen mit größeren Rollstühlen befördern können, als Mobilitätsalternative im gesamten Stadtgebiet unterwegs. Wer sie anfordert, kann sich auf Strecken bis zu 5 Kilometern direkt ans Ziel oder aber zu einer Bushaltestelle oder einem Bahnhof bringen lassen.
Voraussetzung ist dabei nicht ausschließlich ein Schwerbehinderungsgrad: Personen in hohem Alter, mit Gipsfuß oder Kind im Kinderwagen haben genauso einen Anspruch darauf.
Auf die Fragen der Grünen-Abgeordneten Antje Kapek und Catrin Wahlen teilt Verkehrsstaatssekretär Arne Herz (CDU) mit, zu Mitteln für die „Alternative Barrierefreie Beförderung“ im Haushaltsplan 2026/27 könne noch keine Auskunft gegeben werden. Allerdings habe sich das bisherige Konzept, diese Beförderung „über einen Anbieter zu gewährleisten, der neben der Buchungsapp auch eine eigene Fahrzeugflotte mit Fahrpersonal vorhält, als sehr kostenintensiv erwiesen“. Sprich: Muva ist dem Senat schlicht zu teuer.
Dienstleister Via nicht mit am Tisch
Ein „im Ergebnis wirtschaftlicheres Angebot“, so Herz, solle daher durch „Konzentration auf die im Gesetz benannte Zielgruppe und den dort benannten, konkreten Zweck erreicht werden“, außerdem durch die „erfolgreiche Einbindung bereits vorhandener Beförderungsunternehmen mit geeigneten Fahrzeugen – insbesondere des Berliner Taxigewerbes mit seinen aktuell 151 Inklusionstaxen“.
Es habe dazu auch schon einen „Workshop“ mit dem Taxigewerbe, dem Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB), der BVG und der Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung gegeben, heißt es in der Antwort auf die Anfrage. Der Dienstleister Via, der im Auftrag der BVG den Muva-Service betreibt, war demnach nicht an den Gesprächen beteiligt.
Die Grünen bringt das auf die Palme: Sie kritisieren einerseits, dass der Senat offenbar den anspruchsberechtigten Personenkreis wieder einschränken will – wobei die Antwort des Staatssekretärs offen lässt, was mit „Konzentration auf die im Gesetz benannte Zielgruppe“ eigentlich gemeint ist. Schließlich fordert das Gesetz barrierefreie Mobilität für alle Menschen, die sie benötigen, dauerhaft oder temporär.
Inklusionstaxis stünden einem deutlich kleineren Personenkreis zur Verfügung, so Kapek und Wahlen, und im Gegensatz zum Muva könnten sie auch nicht zentral bestellt werden, weder telefonisch noch digital. Tatsächlich werden die vom Land geförderten rollstuhlgerechten Taxis von mehreren Taxiunternehmen angeboten, aber nicht zentral vermittelt. Im Zweifel müssen die Anbieter der Reihe nach abtelefoniert werden.
Taxis stehen am BER herum
Weil ein Inklusionstaxi im Fuhrpark die TaxiunternehmerInnen nicht dazu verpflichtet, es nur für mobilitätseingeschränkte Menschen vorzuhalten, sind de facto auch viel weniger als die genannten 151 Fahrzeuge verfügbar. Viele von ihnen werden aufgrund ihrer Geräumigkeit für Fahrten von und zum BER eingesetzt und stehen so einen beträchtlichen Teil der Zeit am Flughafen herum.
Für Antje Kapek, die verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, ist damit „eine beunruhigende Entwicklung abzusehen“, die mit dem voraussichtlichen Wechsel zum neuen Jahr „höchstwahrscheinlich im Chaos münden wird und zudem eine erneute Verschlechterung des Angebots darstellt“.
Fraktionskollegin Catrin Wahlen weist darauf hin, dass die Taxen „für die NutzerInnen ungleich teurer und für die Unternehmen immer noch nicht kostendeckend“ seien. Überhaupt: „Eigentlich gibt es Muva nur, weil der ÖPNV nicht barrierefrei ist“, sagt die Sprecherin für Inklusion und SeniorInnen. „Statt den ÖPNV und die Fahrstühle flott zu machen, macht Berlin eben Muva – aber jetzt wollen sie das doch nicht mehr.“
Eine unbekannte Variable in Sachen Muva gibt es freilich: Wie ermittelt der Dienst eigentlich, ob auf einer angeforderten Verbindung der ÖPNV tatsächlich nicht barrierefrei ist? Nur dann besteht laut Gesetz der Anspruch auf eine Alternative. Defekte Fahrstühle werden halbwegs zeitnah gemeldet und dürften für den Algorithmus abrufbar sein. Bei der Inanspruchnahme wegen „zu vollen Bussen und Bahnen“, wie es auf der BVG-Website heißt, dürfte das schon schwieriger sein.
Buchbar ist eine Fahrt über die Muva-App offenbar auch ohne Prüfung solcher äußeren Einschränkungen. Möglich also, dass aus Sicht der Senatsverwaltung der Muva einfach zu oft fährt. Konkret benannt wird dieses Problem in der Antwort aus der Verwaltung von CDU-Verkehrssenatorin Ute Bonde aber nicht.
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